Ein Videospiel für Ingenieure: Oxygen Not Included
Veröffentlicht: 21. November 2019 (Zuletzt geändert am 27. August 2022)
Markus Meyer
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Oxygen not included (kurz: ONI) ist ein Aufbauspiel mit ähnlich hohen “Das mach ich schnell noch“-Faktor wie z.B. Civilization. Es simuliert ein komplexes Ressourcenmanagement, in dem jedes Material und jedes vermeintliche Abfallprodukt weiter- oder wiederverarbeitet werden kann. Das Erkennen und Nutzen dieser Zusammenhänge macht einen Großteil des Spielspaßes aus. Gerade am Anfang gibt es aber zu wenig Erklärung und damit Frustpotential.

Das erste Mal in Kontakt kam ich mit ONI im September 2018 als ich es als Lets’ Play auf einem meiner abonnierten Youtube-Kanäle sah. Damals war es noch im Early-Access Programm auf Steam, hatte bei mir aber so ein Interesse geweckt, dass ich es kurzerhand im Wochenend-Sale für ca. 15 EUR kaufte. Trotz Early-Access war es schon erstaunlich gut spielbar, auch wenn ich oft einen Aspekt außer Acht ließ und daraufhin grandios scheiterte.
Um was geht es eigentlich?
ONI ist eine Mischung aus Aufbau- und Survivalspiel. Man startet mit 3 sog. Duplikanten (auch “Dupes”), die man durch den Abbau von Ressourcen und den Aufbau von Equipment am Leben halten muss. Dabei gibt es eine Reihe von Bedingungen im Auge zu behalten: Sauerstoff, Nahrung, Wasser, Gesundheit, Keimbelastung, Temperatur, Moral und Stress. Die abbaubaren Ressourcen sind dabei begrenzt. Man muss also neue Technologien erforschen um beispielsweise die Abfallprodukte bei der Stromproduktion für die Sauerstofferzeugung nutzbar zu machen. Die Spielwelt ist zweidimensional und in Blöcke aufgeteilt. Die verschiedenen Interaktionen zwischen diesen Blöcken wird simuliert. So hat jeder Block beispielsweise je nach Material und Masse eine spezifische Wärmekapazität sowie einen Wärmeübergangswiderstand. Blöcke können auch Flüssigkeiten und Gase sein. Zwar können sich diese untereinander nicht vermischen, aber einige Gase sind beispielsweise leichter als andere und steigen deshalb nach oben. Dies kann man sich zu Nutze machen, etwa weil ein Elektrolysegerät aus Wasser und elektrischem Strom, leichten Wasserstoff und etwas schwereren Sauerstoff produziert. Atembar für die Duplikaten ist nur der Sauerstoff den man einfach unter dem Gerät absaugen kann. Den übrigen Wasserstoff kann man dagegen z.B. zur Stromproduktion verwenden.
Überleben und Wiederverwenden


Der Überlebensaspekt ist insbesondere in der Anfangsphase das Hauptproblem, denn man ist auf Algen und kaltes Wasser zur Sauerstofferzeugung angewiesen. Und beide sind nicht lange ohne weitere Maßnahmen verfügbar. Auch Nahrung ist anfangs ein Problem, denn Samen müssen erst gefunden werden, Pflanzen brauchen Zeit zum Wachsen und die Ernte muss mit Strom zubereitet werden. Da sind der anfängliche Bau von Toiletten und Betten noch das Einfachste – wenn man denn, das mit Keimen verseuchte, Schmutzwasser aus den Toiletten vom Rest der Basis und insbesondere von der Nahrung fernhält.
Das faszinierendste an ONI sind die Kreisläufe der möglichen Materialien, die ein vereinfachter Flowchart[1] eines Users auf Reddit zeigt. Generell ist es im Spiel so, dass der Bau einer neu erforschten Technologie zwar eine neue Möglichkeit zur effizienteren Verarbeitung von Ressourcen bieten, gleichzeitig aber auch neue Probleme verursacht, um die man sich Kümmern muss. Bestes Beispiel ist der Kohlegenerator. Dieser verbraucht Kohle um Strom herzustellen, d.h. die Dupes müssen nicht länger auf dem Hamsterrad strampeln, damit Nahrung zubereitet werden kann oder die Pumpen für die Toiletten laufen. Gleichzeitig entstehen aber auch hohe Mengen Kohlenstoffdioxid (CO2), dass sich aufgrund seines Gewichts nach unten bewegt. Es dauert nicht lange, dann verdrängt das CO2 den lebensnotwendigen Sauerstoff in der Basis. Abhilfe schafft ein Skimmer, der das CO2 mit Hilfe von Strom in (sauberes) Wasser einspeist. Das verschmutze Wasser kann danach mit Sand wieder gereinigt werden – allerdings ist es am Ende deutlich wärmer als vorher. Es gibt viele solcher Kreisläufe und sie werden mit zunehmender Spieldauer immer komplexer.
Temperaturmanagement

Wer die Umgebung erkundet, findet früher oder später verschiedene Gysire, die regelmäßig Wasser, Erdgas oder andere Stoffe ausstoßen. Leider haben diese ein generelles Problem: Die ausgestoßenen Stoffe sind in der Regel sehr heiß. Wasser kommt meist als 110° heißer Dampf und Erdgas ist gern mal bei über 300°C. Die Dupes und diverse Nahrungspflanzen können dauerhaft nur Temperaturen zwischen 10°C und 35°C aushalten, so dass es mit zunehmender Menge an Maschinen und dem Ausgehen von kühlem Wasser immer wichtiger wird, die Temperatur zu managen. In der aktuellen Version gibt es eine überlegene Möglichkeit die Umgebung zu kühlen: Eine Dampfturbine in Kombination mit einem Wärmetauscher. Dabei macht man sich zu nutze, dass eine Dampfturbine heißen Wasserdampf einsaugt und als ca. 95°C heißes Wasser wieder abgibt. Alles über dieser Temperatur wird in elektrischen Strom umgewandelt. Um das Wasser in Dampf zu sieden, nutzt man einen Wärmetauscher. Dieser kühlt, die in ihn hineingepumpte Flüssigkeit um 15°C ab, indem er diese Temperatur an die Umgebung abgibt. Da man die Flüssigkeit immer und immer wieder durch den Wärmetauscher pumpt, wird die Umgebung immer heißer, das Wasser aus der Turbine verdampft wieder, während das durchgepumpte Flüssigkeit immer kühler wird. Die Kühle der Flüssigkeit nutzt man nun um beispielsweise den ca. 70°C heißen Sauerstoff aus einem Elektrolysegerät über Konvektion mit einem möglichst wärmeleitfähigen Material auf angenehme 20°C zu kühlen. Auch die Produktion von Stahl oder die Turbine selbst erzeugen Wärme, die abgeführt werden muss, damit die Maschine jeweils nicht überhitzt. Die erwärmte Kühlflüssigkeit kommt danach wieder in den Wärmetauscher – ein Kühlkreislauf entsteht.
Der Zeitpunkt einer funktionierenden Produktion von kühlem Sauerstoff aus einem der heißen Wasser-Gysire ist ein Wendepunkt, ab dem neben dem (dann deutlich einfacherem) Überleben auch risikoreiches Experimentieren möglich wird. Ich habe mich an den Guides von jahws orientiert, der viele Zusammenhänge sehr viel klarer gemacht hat, als die spieleigene Hilfe. Hat man die Mechaniken für Gas- und Flüssigkeitssysteme einmal raus, können beeindruckende Lüftungs- und Rohrsysteme geschaffen werden, die sich durch die ganze Basis ziehen.
Automatisierung

Viele Maschinen in ONI haben Eingänge um diese Ein- oder Auszuschalten. Des Weiteren gibt es eine Reihe von Sensoren für Temperatur, Druck und Keimbelastung. Es ist also naheliegend, die Maschinen und Leitungssysteme zu automatisieren. Damit bleibt nicht nur mehr Zeit der Dupes für andere Aufgaben wie z.B. den weiteren Aufbau der Basis, sondern teilweise schützt die Automatik die Systeme vor Überlastung, Überhitzung oder anderen Dingen. Jedes Element in ONI hat einen Temperaturbereich, in dem das Element fest, flüssig oder gasförmig ist. Wechselt der Aggregatzustand während eine Flüssigkeit z.B. in einem Rohr ist, bricht dieses Rohr und der Inhalt entleert sich durch die ganze Basis. Damit das nicht passiert, nutzt man z.B. Temperatursensoren an den Pumpen. Später nimmt die Automatisierung noch zu. Einige Produktionen sind ohne gar nicht möglich.

Auf in den Weltraum!

Das Endgame besteht im Bau und Betrieb von Raketen, die z.B. mit verflüssigtem Wasserstoff und Sauerstoff betankt werden müssen. Mit diesem können Planeten angeflogen werden, die nicht nur die Story voranbringen, sondern auch Materialien bieten, die die Herstellung von extrem spezialisierten Baustoffen und Flüssigkeiten erlaubt. Diese sind auch notwendig, den man braucht diese um besseren Raketentreibstoff herzustellen. Das erste Raketentriebwerk funktioniert mit Wasserdampf. Danach kommt Petroleum, das man aus Öl herstellen kann. Da auch in ONI das Öl nicht endlos vorhanden ist, gibt es zum einen Ölspalten, die aus großen Mengen Wasser Rohöl und Erdgas erzeugen. Aber es gibt auch kleine “Glibbertierchen“, die Kohlenstoffdioxid “essen” und Rohöl ausscheiden. Und man kann sogar ihr Fleisch essen! Wäre das nicht was für die echte Welt?
Mit petroleumbetriebenen Raketentriebwerken kann man regelmäßig Materialen von anderen Planeten holen um z.B. eine Flüssigkeit namens “Superkühlflüssigkeit” herzustellen. Diese bleibt in Temperaturen von -271,15 °C bis 436,85 °C flüssig, was sie optimal für den Einsatz als Kühlflüssigkeit in dem oben bereits beschriebenen Kühlsystem mit einer Dampfturbine macht. Mit dieser Methode kann man nun sogar Sauerstoff auf -182.96 °C und Wasserstoff auf -252.15 °C herabkühlen, so dass diese kondensieren und flüssig werden. Beim Wasserstoff benötigt man eine sehr genaue Automatisierung, da dieser bei nur 7°C kälter fest friert. Beides zusammen ermöglicht die besten Raketentriebwerke, so dass man schließlich das Spiel “durchspielen” kann.

Fazit
Mittlerweile ist ONI nicht mehr im Early-Access. Es hat sich in den letzten Updates noch mal viel an kleinen aber wesentlichen Details einzelner Maschinen geändert. Die Entwickler arbeiten weiter an QOL Updates und Performanceverbesserungen. Klei ist generell ein Entwickler, der seine Spiele lange und umsichtig in stetem Dialog mit der Community unterstützt – und das merkt man auch ONI bereits an. Ich habe jedenfalls eine neue Basis gestartet und schon wieder mehrere hundert Stunden in das Spiel gesteckt, es macht immer noch Spaß!
Ich kann dieses Spiel allen empfehlen, die Spaß am Aufbau komplexer Systeme und Maschinen innerhalb einer spielerisch vereinfachten physikalischen Simulation haben. Man sollte sich aber auch konsequent von einem Spiel trennen können, denn es gibt definitiv das Potential länger zu spielen, als man am Spielstart eigentlich wollte.