Langeweile gegen Gedankenaustausch – Was passiert eigentlich in Schleife?
Veröffentlicht: 15. Oktober 2007 (Zuletzt geändert am 23. Juli 2019)
Markus Meyer
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Aktualisierung vom 23.07.2019: Mit der Aussetzung des Wehrdienstes zum 1. Juli 2011 in Deutschland ist auch der Zivildienst in der damaligen Form abgeschafft worden. Im Jahr 2011 wurde stattdessen der Bundesfreiwilligendienst (BFD) gestartet, der aber soweit mir bekannt, keine Schulung in Schleife beinhaltet. Daher wird das ehemalige Gelände der Schule anderweitig genutzt – für was genau, habe ich allerdings nicht gefunden.
Wenn man einen jungen Mann fragt, ob er einen kleinen Ort namens Schleife kenne, bekommt man meistens eine positive Antwort. Allen Anderen ist der Ort eher unbekannt, was bei der Winzigkeit der Gemeinde auch verständlich ist. Aber warum kennen dann ausgerechnet so viele junge Männer diesen Ort. Sie wissen sicher auf was ich hinaus will. In Schleife liegt eine Zivildienstschule des Bundesamtes für den Zivildienst (BAZ). In dieser werden für jeden Zivildienstleistenden Einführungslehrgänge von einer Woche abgehalten. In der letzten Septemberwoche durfte auch ich dorthin. Daher möchte an dieser Stelle einige Informationen und Tipps für zukünftig teilnehmende Zivis veröffentlichen und mit einem Vorurteil aufräumen.
Es geht schon am Fahrkartenschalter der Deutschen Bahn los: “Hallo! Ich möchte bitte eine Fahrkarte von Dresden nach Schleife.” – “Aha… Moment… Sie möchten sicher montags vor 12 Uhr dort sein und am Freitag ab 12 Uhr wieder abreisen?” – “Ähmm ja…” – “Haben Sie Ihren Zivildienstausweis hier?” Sind Zivis die Einzigen, die mit dem Zug nach Schleife wollen? Der guten Frau war sofort klar, warum ich „ausgerechnet“ dort hin will. Übrigens habe ich jetzt gute Erfahrungen mit der Lausitzbahn der französischen Transdev Gruppe gesammelt. Da gibt es sie noch, die hübschen, jungen und netten Zugbegleiterinnen mit umfassendem Serviceangebot. Die Deutsche Bahn unterhält keinen Zug, der in Schleife hält, verkauft aber Fahrausweise – auch nach Schleife.

Die Gemeinde Schleife befindet sich in äußersten Nordosten von Sachsen. Bis nach Brandenburg und bis nach Polen sind es nur wenige Kilometer. Die Gemeinde hat nur wenige Einwohner, bietet aber eine Grund- und Mittelschule sowie einen Getränke- sowie Netto Markt. Abendliche Einrichtungen bietet Schleife nicht. Für jemanden, der in den Betten der Zivildienstschule übernachtet, bietet die Zivildienstschule reichliche Freizeitmöglichkeiten. Eine Auswahl: Billard, Dart, Tischtennis, Kicker, Außensportanlagen, X-BOX, PS2, drei Fernsehräume, Fitnessraum, Musikraum, Kegelbahn und Beamerraum mit DVD-Player. Bei einer Kapazität von ca. 150 Betten sind die aber meistens voll in Benutzung. Ich empfehle jedem sich ein Buch oder den gefüllten MP3-Player mitzunehmen. Sonst bekommt man die Zeit ab 15 Uhr einfach nicht rum ohne sich zu langweilen. Im Vorfeld hörte ich von einigen ehemaligen Lehrgangsteilnehmern, dass man förmlich dazu „gezwungen“ sich abends vorwiegend vom Alkohol zu ernähren. Das kann ich eindeutig widerlegen. Niemand wird gezwungen und es gibt auch keine großen Alkoholexzesse. Mich haben die Abende eher an eine sehr freie Jugendherberge erinnert. Halt ohne Lehrer, die irgendwann Stopp sagen. Jeder ist erwachsen genug um auf sich selbst aufzupassen und die Interessen der anderen zu respektieren. Das hat in der einen Woche sehr gut funktioniert. Vielleicht auch, weil der Anteil der Abiturienten mit 80% recht hoch war.
Wer nachts länger als Mitternacht weg sein möchte, muss sich in eine Liste eintragen. Die Zimmer sind funktionell eingerichtet. Zwei Betten, zwei Schänke mit „Safe“, zwei Stühle sowie ein Tisch, ein Waschbecken und ein Fenster. Mich hat beim Schlafen gestört, dass die Matratzen eine Außenhaut aus Folie besaßen, die beim Umdrehen unangenehm “raschelte”. Für eine Woche werden Sie von der Schule mit drei Mahlzeiten versorgt. Teils frische, teils aufgebackene warme Brötchen und eine gute Auswahl aus Belägen machte das Frühstück zur besten Mahlzeit. Für das Mittagessen gibt es kein Wahlessen! Für Vegetarier wird allerdings ein fleischfreies Essen angeboten. Dies muss jedoch vorher angemeldet werden und gilt für die ganze Woche. Geschmacklich gesehen war das Mittagessen eigentlich ganz gut. Zumindest besser als Kantinenessen, da einige Sachen von Hand zubereitet wurden sind.

Zum Abendbrot gibt es frisches Schwarzbrot und eine gute Auswahl an Belägen. Gestört hat mich, dass zu jeder Mahlzeit nur Wasser oder Tee (zum Frühstück auch Kaffee) angeboten wurde. Verschiedene Erfrischungsgetränke oder Spirituosen konnten selbst mitgebracht werden. Diese konnten entweder in Schleife oder in der Cafeteria käuflich erworben werden.
In der Zivildienstschule Schleife beginnt der Unterricht immer um 8:15 Uhr und zieht sich bis 15.00 Uhr. Dazwischen ist für reichlich Pausen gesorgt. Am ersten Lehrgangstag müssen Sie bis 12.00 Uhr angereist sein, da bereits am gleichen Tag der Unterricht beginnt. Konkret handelt es sich dabei um eine Willkommensrede mit Informationen zu Tagesablauf, Unterricht, Freizeitmöglichkeiten und alles drum und dran. Die Dozenten stellen sich und ihr politisches Thema vor. Je nachdem welches politische Thema für Sie von Interesse ist, „wählen“ Sie Ihren Dozenten für die ganze Woche aus. So verteilt sich die große Truppe in sechs kleine Gruppen.
Folgende Schwerpunkte werden in einer Zivildienstschule behandelt:
- Wesen und Aufgaben des Zivildienstes
- Rechte und Pflichten des Zivildienstleistenden
- Geld- und Sachbezüge
- Ein Angebot im Rahmen der politischen Erwachsenenbildung
Ich hatte bei der Wahl des politischen Themas die Auswahl zwischen der Thematik „Russlanddeutsche“ und “München 1972”. Ich empfand das Geschehen, dass sich bei den Olympischen Spielen 1972 in München abspielte, interessanter und entschied mich für diese Thematik. Diese wurde von drei Dozenten angeboten, die im so genannten “Team Teaching” arbeiten. Mein Tipp: Entscheiden Sie sich für den Dozenten namens Thomas. Alternativ wählen Sie Sonja oder Falk. Der Unterricht wird dann sehr unterhaltsam, was vor allem an Thomas liegt. Sie werden schon sehen… Egal für wen der drei Sie sich entscheiden am Ende sitzen alle drei Gruppen zusammen. Das heißt 70 Schüler und 3 Dozenten arbeiten zusammen in einem Raum. Der Unterricht ist sehr locker und vergleichsweise anspruchslos. Man hört den Dozenten zu, kann Fragen stellen und in der Gruppe diskutieren. Schriftliche Aufzeichnungen sind nicht notwendig. Die Dozenten nehmen die Sache auch nicht so ernst, was den Unterricht relativ lustig machte. Größtenteils erfährt man Sachen, die schon im Leitfaden für den Zivildienst stehen. Wer den noch nicht gelesen hat, wird vielleicht einige neue Sachen erfahren. Zusätzlich wird über die Geschichte des Zivildienstes in Deutschland und in anderen Ländern Auskunft gegeben. Weitere Diskussionsthemen sind beispielsweise Dinge wie:
- Ist die allgemeine Wehrpflicht noch sinnvoll? Sollte der Zivildienst freiwillig sein? Wäre das vielleicht sogar für Frauen möglich?
- Passt der Zivildienst in meine Lebensplanung?
- Ist Zivildienst sinnvoll? Bricht das Sozialsystem ohne den Zivi zusammen?
- Ist ein Zivi eine „billige Arbeitskraft“ oder für hilfsbedürftige ein “Blauer Engel”?
Am Wichtigsten und sinnvollsten empfand ich den Vortrag über Geld- und Sachbezüge, der von den Sekretärinnen des Hauses gehalten wird. Diese wussten sehr gut Bescheid konnten mit (fast) jedem Problem und jeder spezifischen Frage umgehen. Ist doch verständlich, dass man aus den Zivildienststellen alles an Geld rausquetschen muss. Wie schon erwähnt entschied ich mich als Thema der politischen Erwachsenenbildung für “München 1972”. Ehrlich gesagt wusste ich zwar, dass es sich dabei um die Anschläge bei den olympischen Spielen in München handelte, genauere Einzelheiten kannte ich jedoch nicht. Da es den Meisten genauso ging, schauten wir uns zuerst eine Dokumentation der Ereignisse an (auch Nachzulesen bei Wikipedia). Danach folgte der Film von Steven Spielberg und schließlich eine Diskussion. Sehr interessant und wirklich wissenswert.
Schlussendlich kann man sagen, dass der Unterricht zwar sehr locker ist, man aber doch viel Wissen und Eindrücke mit nimmt. Im Vergleich zur Arbeit bei der Zivildienststelle ist die Lehrgangswoche fast wie Urlaub ohne wirkliche Freiheiten aber jede Menge Langeweile.